Nicht in den Zug renen, sonst wirst du Orangensaft
Böse Früchte – Benehmen in der Bahn
Shinto-Zaubersprüche für guten Sex und viel Geld
Curry mit buntem Reis
Essen für den Gott
Zeremonie im Gange
HipHop Party mit coolen Leuten
Stilsicher Pause machen im Cafe
Milchshake und Burger aus New York
Filterkaffee in Ginza – ein Theaterstück mit vier Baristas und 12 Kunden
Warum sind die Japaner so dünn? Warum werden sie so alt? Was ist anders? Gerade sah ich bei Quarks&Co einen Bericht über Ernährungstrends in Deutschland und das erinnerte mich wieder an die wilden Food-Trends in Berlin Mitte mit all ihren Regeln und asketisch Protestantischen Verzichten trotz überschwänglichem Multi-Drogen-Konsums. Alles Quatsch natürlich. Sport und keine billige Scheiße essen ist das Einzige. Hier also mein Gefühlsbericht ohne jegliche wissenschaftliche Haltbarkeit zu Essen in Japan.
Wie sehen die eigentlich Essen? Das fragen mich einige Freunde zur Zeit, weil in den trendigen Ecken der Bauhausnation ja zu jeder Tages- und Nachtzeit immer und ausschließlich über die neusten, besten, cleansten, ethischten, supersten und energetischten Ernährungen und In-Kniepen gesprochen wird.
Als erstes sind andere asiatische Küchen in Japan nicht in, denn Japanisch ist die Beste Küche. Das wissen die Japaner und ich auch. Japanische Küche hat viele Unterkategorien, die von einfachem Straßenessen bis hin zu komplizierten mehrstündigen und viel-gängigen Menüs reicht. Selbst der Alkohol und der Tee wird immer passend zum Gericht serviert und jedes kleinste Tellerchen passt zum Stil des Essens. Die Grundhaltung ist immer Qualität. Gerne wird aus anderen Kulturen inspiriert hinzugefügt. Dies erzeugt eine Tiefe, die immer wieder überrascht.
Wichtige Basis der Japaner ist Usuiaji – Dünner Geschmack. Also nicht über-würzen und die Zutaten für sich selber sprechen lassen. Das gelingt wiederum nur durch Qualität der Zutaten.
Auch sind generell alle Portionen kleiner. Genuss als dekadenter Luxus des Lebens wird dadurch auch bei Starbucks und Burger King ausgedrückt. Asketische Ernährungsideologien des Protestantismus kennt man hier nicht. Essen ist Leben und wenn was über bleibt waren alle gut gesättigt.
Jetzt zu den Veganer und Vegetariern: Kommt nicht nach Japan! Es gibt hier (außer in konservativ religiösen Mönchs-klöstern der Buddhisten) keine vegetarische (und absolut keine vegane) Küche. Der Grund ist aus meiner Sicht das absolute Verbot des Fleischkonsums durch einen buddhistisch fundamentalistischen Militärherrscher im Mittelalter Japans für die gesamte Bevölkerung. Dadurch ist das Essen von Tieren zu einem Recht der bürgerlichen Freiheit erhöht worden. Und damit ist es sogar respektlos das Tiere-essen der anderen zu kritisieren oder überhaupt zu diskutieren.
In jedem Salat und in jeder Soße ist daher immer Fleisch. Meist Sud oder Fond mit Teilen von Fisch oder Schwein, denn diese generieren „Umami“. Umami ist das Wort des Todes in Berlin Mitte, denn es heißt GLU-TA-MAT!
Glutamat entsteht chemisch immer beim Kochen von vielen verschiedenen Lebensmitteln (auch bei Hackbraten) und wird in Japan zur Geschmacksverstärkung mit langer Tradition gezielt hergestellt. Einkochen von Fleisch, Fisch, Shiitake-Pilzen oder Kombu-Seegras erzeugt einen Glutamat-haltigen Fond. Glutamat spricht den fünften Geschmackssinn (Umami) oder auch „Herzhaftigkeit“ auf der Zunge an und lässt alles besser schmecken. Glutamat ist anscheinend nicht gefährlich. Die Japaner leben schließlich länger als ihr und essen das Zeug jeden Tag, dauernd und auch industriell hergestellt.
Die Trends der simulierten Unverständlichkeiten wegen Aufmerksamkeitsdefizit (Gluten- oder Laktose-Intoleranz von medizinisch Nicht-Intoleranten) gibt es hier nicht. Und obwohl es immer heißt, das Japaner keine Milch verdauen können müssen alle Schulkinder jeden Tag zu ihrem Mittagessen in der Schule ein Fläschchen Milch trinken. Denn die Intoleranz tritt erst bei großen Mengen ab 1,5 Litern spürbar (Durchfall, Magenkrämpfe) auf. Milchshakes und Softeis sind ein andauernder Trend. Vergorene Milchprodukte sind medizinisch sowieso nicht betroffen.
Brot wird zwar eher weniger gegessen, dennoch lieben besonders dünne trendige, junge Tokyoterinnen Bäckereien. Süße französisch-inspirierte kleine Backwaren als Mittagessen oder zwischendurch sind der Europa-romantisierende Dauertrend. Natürlich sind die Portionen klein, aber es ist trotzdem die volle Dröhnung Weißmehl. Gluten-Intoleranz: zack-bumm.
Superfood hört man hier nur in Shops für amerikanische Expats, denn die meisten davon sind sowieso aus der Japanischen Küche geklaut und niemand glaubt hier an ihre Superkräfte. Sie schmecken halt einfach gut. Miso (Vergohrene Sojabohnen-Paste), Matcha (Grüntee-Pulver), Tofu (geräuchertes Tofu würde hier niemand im Traum essen, denn die beknackte Idee von Ersatzprodukten käme hier niemandem in den Sinn) und so weiter. Es gibt hier sogar viele Gewürze, Knollen, Tiere oder Meerespflanzen, die noch gar nicht auf der Superfood-Agenda stehen. Also freut euch auf die Fortsetzung der Detox-Drinks, die es hier natürlich auch nicht gibt, denn alle bleiben Jung, schön und schlau durch Grünen Tee (und einer sehr stricken Drogen-Politik).
Einer der größen Vorteile für eine gute Ernährung in Japan ist, dass man in jedem Supermarkt – manchmal 24 Stunden lang – gute Qualität von allem bekommt. Die Lebensmittel sind frisch und es gibt viel Proteinhaltiges wie Fisch (ich esse meist Sashimi für 4 Euro) oder Tofu und Soba. Relativ billiges, fertig gekochtes Essen wird immer vor Ort im Supermarkt hergestellt (Sushi oder Tempura) und nach einigen Stunden discountiert, damit es nicht weggeworfen wird. Obst ist zwar teuer, dafür aber von der besten Qualität – süß, saftig, geil und hübsch. Es ist schließlich eine art Dessert Delikatesse.
Essen-Gehen ist 30% billiger als in Deutschland und kochen lohnt sich als Single oft nicht. Auch gibt es ja in kaum einem anderen Land außer Deutschland dieses völlig behämmerte Diktat, dass man auch noch ein süßes oder alkoholisches Getränk zum Essen kaufen muss, um den Pommes-Panzer-Energiehaushalt noch weiter in die Höhe zu treiben. Hier wird immer umsonst Tee und Wasser gereicht und manchmal auch unterschiedliche Tees für vorher und nachher.
Die Japaner haben grundsätzlich ein sehr gelassenes Verhältnis zu Essen. Es gibt ja einfach nicht dieses Puritanistische, wie in Deutschland, dass Essen mit Verschwendung gleich setzt und einen Drang zur Rückkehr zur Natur impliziert werden muss. Essen ist hier, anders als in Berlin Mitte, keine Religion oder Ideologie, sondern Ausdruck der Freiheit und Individualität, des Status und des dekadenten Genusses des Einzelnen.
Ich glaube, dass Deutschland diese Gelassenheit braucht, um eine kulinarische Nation zu werden, Trends dagegen kaschieren nur die Tabus und Ängste zur Nahrung und dem Selbst. Auf diesem Weg helfen die Einwanderer immer gerne.
Ihr könnt euch sicher sein: Das Thema wird mich noch weiter beschäftigen. Auch den Economist beschäftigt die Zukunft der Ernährung.
Seid mehr dekadent. Es grüßt die Aristokratie.